Der Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Föderation von Nordsyrien

Präambel

Wir, die Völker von Rojava in Nordsyrien – Kurd*innen, Araber*innen, Assyrer*innen, Assyrer*innen, Turkmen*innen, Armenier*innen, Tschetschen*innen und Tscherkess*in-nen, Muslime, Christen, Jesiden sowie Anhänger*innen der verschiedenen Glaubens-richtungen und kleinerer Religionsgemeinschaften – erklären, dass der Nationalstaat Kurdistan, Mesopotamien und Syrien zum Dreh- und Angelpunkt des Chaos im Nahen Osten gemacht und unseren Völkern schwere Krisen und Leiden gebracht hat.Die tyrannische, nationalistische Regierung, die den Völkern in Syrien weiterhin Unge-rechtigkeit und Unterdrückung zufügt, hat das Land in einen Zustand der Zerstörung und Verwüstung geführt, die das gesellschaftlichen Gefüges auseinandergerissen haben. Wir sind davon überzeugt, dass ein demokratisches föderales System die beste Lösung für die Beendigung des Chaos und für die Bewältigung der historischen, sozialen und nationalen Probleme in Syrien darstellt.Die Demokratische Föderation Nordsyrien beruht auf einem geografischen Konzept so-wie administrativer und politischer Dezentralisierung. Sie ist Teil der Vereinigten Demo-kratischen Föderation Syriens.Die Demokratische Föderation Nordsyrien übernimmt ein konsens-basiertes Regierungs-system, in dem alle Individuen und Gruppen an den Diskussionen und Entscheidungs-prozessen gleichberechtigt beteiligt sind. Auf Grundlage der Koexistenz und Geschwis-terlichkeit werden in der Föderation alle ethnischen und religiösen Gruppen mit all ihren Charakteristiken respektiert. In der Föderation besitzen alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten. Die Föderation respektiert alle Menschenrechtsverträge und ist bestrebt, den inneren und internationalen Frieden zu fördern.Im Rahmen des konsensbasierten, demokratischen, föderalen Systems bilden alle Bevöl-kerungsteile, insbesondere Frauen und Jugendliche, ihre demokratischen Organisatio-nen und Institutionen. Alle politischen, sozialen und kulturellen Aktivitäten sollen frei aus-geübt werden können und jeder Mensch soll ein erfülltes, freies und gleichberechtigtes Leben führen können.Mit diesem Vertrag stellt die Demokratische Föderation Nordsyrien ihr Regierungssystem auf die Grundlage der moralischen und materiellen Werte der demokratischen Zivilisati-on des Nahen Osten. Dieser Vertrag wurde mit dem freien Willen aller Bevölkerungsteile Nordsyriens und gemäß den Prinzipien einer demokratischen Nation beschlossen.

ERSTER TEIL

Grundlegendes

Artikel 1:

Dieses Dokument trägt den Titel „Der Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Föderati-on Nordsyrien“. Die Präambel ist ein integraler Bestandteil des Vertrages.

Artikel 2:

Die Demokratische Föderation Nordsyrien übernimmt die Prinzipien von Ökologie, De-mokratie und der Freiheit der Frauen.

Artikel 3:

Die Demokratische Föderation Nordsyrien bezieht ihre Legitimation aus dem Willen der Bevölkerung und Gesellschaftsgruppen, der sich in freien und demokratischen Wahlen ausdrückt

Artikel 4:

Alle Sprachen Nordsyriens sind in allen Lebensbereichen, im Erziehungswesen und kul-turellen Leben und in Verwaltungsangelegenheiten gleichwertig. Jedes Volk gestaltet sein Leben und regelt seine Angelegenheiten in seiner Muttersprache.

Artikel 5:

Die Demokratische Föderation Nordsyrien und ihre Verwaltung haben eine Hauptstadt, eine Fahne (die neben der Fahne der Demokratischen Föderation Syriens wehen wird) und ein Wappen. Dies wird gesetzlich geregelt.

Artikel 6:

Der Eid

„Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und beim Blut der Märtyrer*innen, den Ge-sellschaftsvertrag und seine Bestimmungen zu befolgen, die demokratischen Rechte des Volkes zu bewahren und die Werte der Märtyrer*innen, die Freiheit, den Frieden und die Sicherheit auf dem Territorium der Demokratischen Föderation Nordsyrien und des föderalen Syrien zu schützen und zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit im Ein-klang mit den Prinzipien der demokratischen Nation beizutragen.“

Artikel 7:

Die Demokratische Föderation Nordsyrien besteht aus demokratisch selbstverwalteten Kantonen, in denen konfessionelle, ethnische, kulturelle Organisationen und Frauenor-ganisationen aus allen gesellschftlichen Schichten demokratisch geregelt werden.

Artikel 8:

Das Fundament der Demokratische Föderation Nordsyrien ist das freie Individuum in einer geordneten Gesellschaft. In diesem Rahmen stellen die Organisationen, Gruppen und Körperschaften der lokalen Bevölkerung die Grundpfeiler der Föderation dar.

Artikel 9:

Demokratisches, ökologisches und gemeinschaftliches Leben ist die Grundlage, auf der eine demokratische und ökologische Gesellschaft aufgebaut werden soll, die das Ziel verfolgt, die Natur nicht zu mißbrauchen, zu plündern oder zu zerstören.

Artikel 10:

Koexistenz ist gemäß den Prinzipien der Demokratischen Nation zu festigen und ist ge-prägt von der Geschwisterlichkeit zwischen den Völkern und Gruppen in Nordsyrien in einer demokratischen, freien und gerechten Gesellschaft.

Artikel 11:

Die Demokratische Föderation Nordsyrien beruht auf dem Prinzip der gemeinsamen Nutzung von Land, Wasser und Energie und basiert auf einer umweltgerechten Industrie und gemeinschaftlichen Wirtschaft. Ausbeutung und Monopolisierung oder die Reduzie-rung von Frauen zu Objekten sind verboten. Alle Menschen erhalten eine Kranken- und Sozialversicherung.

Artikel 12

Die Demokratische Föderation Nordsyrien übernimmt das System der Ko-Präsidentschaft in allen politischen, sozialen, administrativen und anderen Bereichen. Dieses Grundprinzip sichert die gleichberechtigte Repräsentation der Geschlechter und die Beteiligung von Frauen am demokratisch föderalen Sytem, in dem sie eigenständige Rechtspersonen sind.

Artikel 13

Freiheit und Rechte der Frauen und Geschlechtergleichstellung werden garantiert.

Artikel 14

Frauen genießen ihren freien Willen innerhalb demokratischer Familien, die ein gleich-berechtigtes und gemeinschaftliches Leben führen.

Artikel 15

Junge Menschen sind die treibende Kraft und Vorreiter der Gesellschaft und ihre Partizi-pation in allen Lebensbereichen ist garantiert.

Artikel 16

Alle Ethnien haben eine gerechte Repräsentation in allen administrativen Institutionen der Föderation gemäß den regionalen demografischen Verhältnissen.6

Kapitel 2

Grundrechte und Grundfreiheiten

Artikel 17

Die Demokratische Föderation Nordsyrien befolgt die „Allgemeine Erklärung der Men-schenrechte“ und alle anderen relevanten Menschenrechtsverordnungen.

Artikel 18

Das Recht auf Leben ist ein Grundrecht und wird mit diesem Vertrag garantiert. Die Ein-führung der Todesstrafe ist nicht zulässig.

Artikel 19

Die Würde des Menschen wird geschützt. Niemand darf psychisch oder physisch ge-foltert werden. Folter ist nicht zulässig. Diejenigen, die gegen das Verbot verstoßen, werden bestraft.

Artikel 20

Alle Völker und Gruppen der Gesellschaft haben das Recht, sich frei zu organisieren. Kulturelle Unterdrückung und Assimilierung, Genozid und Besatzung werden als Verbre-chen gegen die Menschlichkeit betrachtet, und Völker und Gruppen haben das legitime Recht, dagegen Widerstand zu leisten.

Artikel 21

Alle Kantone oder Gruppen haben das Recht, über ihre eigenen Angelegenheiten zu entscheiden, wenn es diesem Vertrag nicht widerspricht.

Artikel 22

Die Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Gedankenfreiheit, das Recht auf Selbstorgani-sation und Selbstverwirklichung werden für alle Menschen garantiert.

Artikel 23

Jede/r hat das Recht, dem Gesetz gemäß am politischen Leben teilzunehmen und bei Wahlen für ein Amt zu kandidieren.

Artikel 24

Niemand darf wegen Hautfarbe, Geschlecht, Rasse, Religion oder Glauben beleidigt oder ausgeschlossen werden.

Artikel 25

Gewalt gegen Frauen, ihre Ausbeutung und Diskriminierung gelten als Verbrechen und werden nach dem Gesetz bestraft.7

Artikel 26

Frauen haben das Recht auf gleichberechtigte Teilnahme an allen Lebensbereichen – po-litischen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, administrativen u.v.m. – und entscheiden selbst über ihre Belange.

Artikel 27

Jugendliche haben das Recht, sich teilautonom zu organisieren und eine aktive Rolle in allen Lebensbereichen zu spielen.

Artikel 28

Alle Angeklagten gelten als unschuldig, solange sie nicht gerichtlich verurteilt wurden.

Artikel 29

Private Orte und Wohnstätten dürfen nicht betreten oder durchsucht werden, solange dies nicht von einer Rechtsbehörde angeordnet oder jemand auf frischer Tat ertappt wurde.

Artikel 30

Die individuelle Freiheit darf nicht ohne rechtliche Grundlage eingeschränkt werden.

Artikel 31

Das Recht auf Selbstverteidigung ist unantastbar. Das Gesetz garantiert allen das Recht, den Rechtsweg zu beschreiten.

Artikel 32

Alle haben das Recht, in einer gesunden Umwelt zu leben.

Artikel 33

Kulturelle, ethnische und religiöse Gruppen haben das Recht, ihre Selbstverwaltungen zu benennen, ihre Kulturen zu bewahren sowie ihre demokratischen Organisationen zu schaffen. Keine Person oder Gruppe hat das Recht, anderen den eigenen Glauben mit Gewalt aufzuzwingen.

Artikel 34

Alle Bildungsstufen sind kostenfrei. Für Grund- und Mittelstufe besteht Schulpflicht.

Artikel 35

Alle Bürger*innen haben das Recht auf Arbeit, Gesundheitsversorgung, eine Wohnung und auf einen Wohnortwechsel.

Artikel 36

Die Rechte aller Arbeitnehmer*innen auf Arbeit und auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist gesetzlich garantiert und ihre Organisationen werden unterstützt.

Artikel 37

Medien-, Presse und Verlagsfreiheit werden garantiert.

Artikel 38

Jede/r Bürger*in hat das Recht, Informationen zu erhalten und Zugang zu diesen zu bekommen.

Artikel 39

Alle Menschen haben das Recht auf Entwicklung und Verbreitung ihrer kulturellen und künstlerischen Aktivitäten.

Artikel 40

Alle Menschen haben das Recht, aus humanitären oder politischen Gründen Asyl zu begehren; ein politischer Flüchtling darf nicht gegen seinen Willen in sein Herkunftsland zurück geschickt werden.

Artikel 41

Naturreichtümer und Bodenschätze sind öffentliches Eigentum. Ihre Nutzung, ihre Be-wirtschaftung sowie die Bedingungen einer gerechten Verteilung werden durch Gesetze geregelt.

Artikel 42

Investitionen in private Projekte können getätigt werden, wenn sie das ökologische Gleichgewicht berücksichtigen, notwendige Dienstleistungen für die wirtschaftliche Ent-wicklung bereitstellen, auf die Erfüllung sozialer Bedürfnisse abzielen und zum Aufbau ökonomischer Aktivitäten in der Gesellschaft beitragen.

Artikel 43

Das Recht auf Privateigentum wird garantiert, solange es nicht den allgemeinen Interes-sen widerspricht; dies wird durch Gesetze geregelt.

Artikel 44

Die Beteiligung an der legitimen Verteidigung der Demokratischen Föderation Nordsy-rien oder der Demokratischen Föderation Syrien um Angriffe abzuwehren, ist ein Recht und eine Pflicht aller Bürger*innen.

Artikel 45

Die Rechte der Menschen mit besonderen Bedürfnissen werden garantiert und ein men-schenwürdiges Leben für behinderte und alte Menschen wird gewährleistet.

Artikel 46

Kinderrechte werden gewahrt; Kinderarbeit und Ausbeutung von Kindern ist verboten.

Der vollständige Gesellschaftsvertrag ist hier downloadbar.