Um was es geht

Hier ein Zahlenspiel, welches mit genügend Vorsicht zu geniessen ist, weil zum einen eine sehr geringe Datenbasis vorhanden ist, zum anderen weil die Einbürgerungspraxis in verschiedenen Bundesländer unterschiedlich gehandhabt wird. Dennoch kann man die Dimension und die Reichweite des türkischen Arms in den deutschen Ämtern erahnen.

Uns sind im Raum Freiburg ca. 10 Fälle einer verweigerten deutschen Staatsbürgerschaft für kurdischstämmige Menschen bekannt. Desweiteren fünf Personen, welche Auflagen wie regelmässige Meldepflicht beim Amt (z.B. einmal wöchentlich) – oft verbunden mit einer Residenzpflicht bekannt.

Das klingt erstmal nach nicht viel – wobei die Dunkelziffer ungleich höher liegen dürfte. Fangen wir an zu rechnen. 15 Menschen auf 200000 Bewohner*innen des Raumes Freiburg. Das ergibt 6000 auf die Bundesrepublik. Okay. Immer noch nicht viel? Machen wir weiter: es gibt geschätzt eine halbe bis eine Million kurdischstämmige Menschen in Deutschland, das heisst: ca. 1 BetroffenR auf 100. Und das bedeutet wieder, das möglicherweise in jeder fünften bis zehnten kurdischen Familie mindestens ein Mensch ist, welcher vom Verfassungsschutz beobachtet wird oder wurde. Es kann die flächendeckende Überwachung der gesamten kurdischen Community in Deutschland vermutet werden.

Natürlich sind diese Zahlen sehr spekulativ. In Freiburg gibt es eine Anfrage der Gemeinderatsfraktion “Eine Stadt für alle” an den Oberbürgermeister um etwas Licht in diese Spekulation zu bringen.

[UPDATE 2.4.2020] Mittlerweile ist eine Antwort der Stadt auf die Anfrage von “Eine Stadt für alle” erfolgt. Die Zahlen überraschen – durch ihre geringe Anzahl und werfen Fragen auf. Unsere Stellungsnahme findet Ihr hier. [Ende UPDATE]

Aber wenn nur etwas Wahrheit in diesen Zahlen liegt, dann läßt sich unschwer erahnen, was das für das Recht auf freie Meinungsäußerung, für das Demonstrationsrecht und andere Lebensbereiche der kurdischstämmigen Menschen in Deutschland bedeutet.

Wir sind eine Gruppe von Menschen aus Freiburg und Umgebung, die sich gegen die Verweigerung der deutschen Staatsbürgerschaft an unseren Freund Mustafa C. einsetzen. Und wir möchten seinen Fall beispielhaft bekannt machen.

Mustafa lebt seit vielen Jahren in Freiburg und ist hier politisch aktiv für soziale Gerechtigkeit und für Frieden in der Türkei und Kurdistan. Dieses politische Engagement ist ihm jetzt zum Verhängnis geworden. Ihm wurde sein Antrag auf Einbürgerung wegen seines Engagements hier in Deutschland verweigert. Er hat dagegen Klage eingereicht.

Seit Jahrzehnten wird Kurd*innen die oft selbst vor Diktatur und Unterdrückung nach Deutschland geflohen sind immer wieder systematisch die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert. Die Gründe dafür sind meistens ihr politisches Engagement und die Zusammenarbeit der deutschen Behörden mit der türkischen Regierung. Deshalb haben wir uns dazu entschieden mit diesem Prozess an die Öffentlichkeit zu gehen um über diese Situation zu informieren.

Die Ausweisungsandrohungen, mit welchem die deutschen Behörden den Aufenthaltsstatus kurdischer Aktivist*innen bedrohen eben immer unisono mit dem Verweis sie wären “eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung”. Wohlgemerkt, es handelt sich um Menschen, denen keine Straftat vorgeworfen wird!

Etwas bekannt geworden ist diese Praxis durch den Fall von Murat Akgül (https://www.br.de/nachrichten/bayern/kurde-aus-nuernberg-nach-30-jahren-abgeschoben,Rh9SX18) aus Nürnberg im Jahr 2019 – aber auch er ist beweitem kein Einzelfall sondern gerade mal die Spitze des Eisberges.

Zurückzuführen ist dies Vorgehen der deutschen Behörden auf das 1993 durch den Innenminister erlassene Verbot der PKK. Allerdings wird allen Betroffenen nie die Mitgliedschaft oder ähnliches vorgeworfen – es geht regelmässig umden sehr schwammigen Begriff der “PKK – Nähe” – ein Begriff unter dem krtiklos alles subsumiert wird, was in kurdischem Kontext linke Politik ist. Eine inhaltiche Auseinandersetzung findet nicht statt.

Wer einen kurzen Blick in die Geschichte der Kurd*innen der letzten hundert Jahre wirft, wird allerdings sehr schnell verstehen, warum Menschen sich für eine demokratische, geschlechtergerechte, multiethnische und multi – weltanschauliche Gesellschaft engagieren. Wer den allgegenwärtigen Krieg in allen Teilen Kurdistans beenden will, ohne die Grundlagen für die nächsten gewaltätigen Auseinanderstzungen zu legen, wird nicht umhin kommen, sich politisch für gesellschaftliche Vielfalt und Frieden zu engagieren.